Dark Day by Tom Wood

Dark Day by Tom Wood

Autor:Tom Wood
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Goldmann Verlag


Kapitel 38

Der Stromausfall machte das Entkommen schwieriger, verschaffte ihm aber auch einen Vorteil, zumindest kurzfristig. Irgendwann würde das Netz sich wieder stabilisieren, würden Straßenlaternen und Überwachungskameras, Gesichtserkennungsscanner und die Kommunikationswege innerhalb der Polizei wieder funktionieren. Dann würde das Chaos sich lichten, und es würde schwieriger werden, unerkannt zu bleiben.

Er bat ein sich streitendes Paar, ihn vorbeizulassen, und zwar mit einem amerikanischen Akzent: dem melodischen, weitverbreiteten und etwas unscharfen Singsang des Mittelwestens, den auch Muir benutzte. Es fiel ihm nicht schwer, die Stimme zu verstellen. Er beherrschte viele Sprachen, Dialekte und umgangssprachliche Ausdrücke, das war ein notwendiger Teil seines Berufs. Schließlich arbeitete er überall auf der Welt. Er musste in der Lage sein, sich an unterschiedlichsten Orten und in den verschiedensten Situationen unauffällig zu bewegen und in das Umfeld zu integrieren. Er trainierte seine sprachlichen Fähigkeiten regelmäßig, genau wie seine Körperkraft und Ausdauer – konsequent und mit einer Hingabe, die nur der aufbringen kann, der weiß, dass unter Umständen das eigene Leben davon abhing.

Überall sah er Menschen, die die Köpfe über die leuchtenden Displays ihrer Smartphones gebeugt hatten, die versuchten, zu telefonieren oder sich zu informieren, doch die Funknetze waren ausgefallen, entweder infolge des Stromausfalls oder aber wegen des gewaltigen Ansturms, weil alle gleichzeitig alles wissen wollten. Er selbst hatte nur zu besonderen Gelegenheiten ein Handy bei sich. Sie ließen sich zu leicht verfolgen. Stellten ein zu großes Risiko dar. Doch jetzt fühlte er sich ziemlich nackt. Er fiel auf, weil er nicht auf einen kleinen Bildschirm starrte.

Obwohl weit und breit keine Polizei zu sehen war, gönnte er sich keine Entspannung. Sie suchten nach wie vor nach ihm, wurden lediglich durch den Stromausfall behindert. Die Notrufleitungen wurden von einem Ansturm von Hilferufen überschwemmt: Leute, die in Fahrstühlen oder in der U-Bahn festsaßen oder in anderen Schwierigkeiten waren. Die Notrufzentralen der Polizei kamen vermutlich gar nicht mehr hinterher. Die Einsatzleiter waren überfordert. Sogar bei krisenerprobten und finanziell gut ausgestatteten Organisationen wie dem New York Police Department, dem FBI oder dem Heimatschutz würde es drunter und drüber gehen. Daher ging er davon aus, dass es bis jetzt noch keine koordinierte Fahndung nach ihm gab.

Er blieb im Erdgeschoss des Einkaufszentrums und suchte den hinteren Ausgang. Ein Stockwerk höher hätte er sich quasi selbst eine Falle gestellt. Irgendein tief verwurzelter Instinkt sagte den Menschen, dass sie weiter oben in Sicherheit waren. Und in der Natur traf das in aller Regel auch zu. Aber in der künstlichen Wildnis der Städte galten andere Gesetze. Selbst wenn er unbeobachtet auf das Dach gelangt wäre – wohin hätte er sich von dort wenden sollen? Auf eines der Nachbargebäude zu springen war unmöglich, sie waren viel zu weit entfernt. Er wäre vielleicht seinen eventuellen Verfolgern entkommen, hätte aber in der Falle gesessen und wäre aus der Luft problemlos zu erkennen gewesen. Ein Funkspruch hätte genügt, um seine Position an die Einsatzkräfte weiterzugeben.

Sich zu verstecken war immer schlechter, als zu flüchten, und das galt ganz besonders auf einer Insel, auf der es von Polizisten, Wachpersonal und Auftragskillern wimmelte.

Er ließ den Blick forschend über die Menge gleiten und bemerkte einen uniformierten Mann mit Schnurrbart.



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